Samstag, 28. April 2012

Fam. Yaxcal aus Chicanab...





In Coban erfahre ich zufällig von der gemeinnützigen Organisation Ecoquetzal, die es sich zum Ziel gesetzt hat, den letzten verbliebenen Rest des ursprünglichen Nebelwalds rund um Coban zu erhalten. Sie ermöglicht Touristen durch einen Aufenthalt bei  einheimischen Maya-Familien einen tieferen Einblick in deren Kultur und Lebensweise. Da ihnen dadurch ein regelmäßiges Einkommen ermöglicht wird,  verpflichten sie sich im Gegenzug dazu,  auf die Rodung weiterer Waldflächen zu verzichten. Es gibt dieses Projekt schon seit fast 10 Jahren. Die Nachfrage bei Touristen hält sich allerdings in Grenzen. Nur alle paar Wochen bekommt eine Gastfamilie Besuch von Fremden.  

Eine ältere Frau im Büro von Ecoquetzal erzählt mir ein wenig, was mich auf einer solchen Tour in die Berge erwartet und zeigt mir einige Bilder. Die Familien leben in  einfachen Verhältnissen und in sehr  abgelegenen Gebieten. Um zu ihren Häusern zu gelangen, muss  man erst eine zweieinhalbstündige Berg- und Talfahrt mit dem Bus ueberstehen  und  wandert dann noch  fast 2 h zu Fuss auf einem steilen und schlammigen Pfad hoch in den Nebelwald von Chicanab. Es gibt eine einfache Schlafgelegenheit und 3 Mahlzeiten am Tag. Ich bin sofort begeistert. Es klingt nach Abenteuer und ist wohl eine seltene Gelegenheit zu einem tieferen interkulturellen Austausch. 
Das ganze läuft sehr unkompliziert und unbürokratisch ab. Schon am nächsten Morgen um 9 Uhr holt  mich Manuel, der Vater meiner 
Gastfamilie, in Coban ab. Leider hat sich meine Hoffnung auf besseres Wetter nicht erfüllt, und es regnet immer noch in Strömen. Ich bekomme noch ein Paar Gummistiefel und  dann marschieren wir quer durch die Stadt zum Busbahnhof. Eine halbe Stunde später sind wir in San Pedro Carcha. Hier müssen wir umsteigen. Leider fährt unser Bus nach San Lucas erst in zwei Stunden. Zwei Stunden in einem dieser kleinen Busbahnhofsrestaurants kommt einem wie eine kleine Ewigkeit vor. Ich ziehe es vor,  noch mal ins Zentrum von Carcha zu laufen, um ein paar Geschenke für die sechs Kinder der Familie zu besorgen. 
Ich kaufe ein paar Malbücher mit Fussballmotiven, Schreibhefte und Farbstifte. Irgendwann sitzen wir dann endlich im Bus und alles spricht dafür. dass es  gleich losgehen müsste. Aber Busse fahren hier erst los, wenn sie voll sind. Das Wort "voll" ist hier ein sehr dehnbarer Begriff. Ab dem Zeitpunkt, als ich fand, der Bus wäre jetzt aber rappelvoll, sind etwa noch einmal so viele Leute zugestiegen, bis er sich dann endlich in Bewegung setzte. Erstaunlich, wie gelassen die Menschen hier mit Gedränge umgehen. 
Eine wilde Schotterpiste schlängelt sich durch die Berge von Alta Verpaz und ist teilweise in einem derart schlechten Zustand, dass ich jeden Moment damit rechne, aussteigen und schieben zu müssen. Die Landschaft ist beeindruckend und die Busfahrt ein Erlebnis für sich. Während der Fahrt springt plötzlich ein Truthahn vom Dach und versucht seinem Schicksal im letzten Moment noch zu entfliehen. Sofort hetzt eine Meute hinter ihm her und beendet den kurzen Ausflug in die Freiheit. Wenigstens darf er den Rest der Fahrt auf dem Schoss seiner Besitzerin verbringen. 

Auf dem Weg nach Chicanab
Hier oben helfen nur
Gummistiefel
Irgendwann erreichen wir San Lucas. Ein kleines Dorf, das nur aus ein paar Hütten und einem Laden besteht. Manuel verschwindet wortlos im Laden und kommt erst nach etwa einer halben Stunde wieder heraus. Er schwankt ein wenig und mir wird klar, dass seine erste Investition mit dem Geld, das ich für die Tour bezahlt habe, eine Flasche Schnaps war. 
Dann wandern wir etwa eine Stunde in knöcheltiefem Schlamm über steile Grashänge hoch bis wir den Rand des Nebelwaldes erreichen. Es ist eine faszinierende Welt aus ineinander verschlungen Pflanzen,  mächtigen Baumriesen, Blättern in allen möglichen Grüntönen und  riesigen Farnen. 








Es beginnt schon zu dämmern, als wir das Haus meiner Gastfamilie erreichen. Ich habe ein kleine Hütte für mich, auf vier Pfählen gebaut und über eine eigenartige Leiterkonstruktion erreichbar. Das Bett ist ein Holzbrett mit einer dünnen Auflage. Es gibt weder Strom noch fliessendes Wasser. Der Weg zum Klo ist eigentlich schon eine kleine Wanderung. Die Ausblicke auf die umliegenden Berge sind fantastisch. Zur Begrüßung gibt es eine Tasse warmes Wasser. Dann kommt seine Frau  und erkennt wohl auf den ersten Blick, dass ihr Mann getrunken hat. Auch ohne, dass ich ein Wort Queqchi verstehe, glaube ich dem Dialog zwischen den beiden, gut folgen zu können. 
Ich glaube, er hätte Essen für mich mitbringen sollen, hat aber stattdessen den erwähnten Schnaps bevorzugt. Die Frau scheint ziemlich böse und möchte von ihm wissen, was den ich Gringo die nächsten Tage  so essen soll. 
Er zählt   irgendetwas auf. Wahrscheinlich Bohnen, Tortillas und Eier. Verärgert verschwindet die Frau, die übrigens kein Wort spanisch spricht, wieder hinter dem Vorhang, der die Küche und den Wohnraum voneinander trennt. Damit bin ich mitten im Familienleben einer 10koepfigen Queqchi-Maya-Familie angekommen.







Dann lerne ich  die Kinder kennen. Pedro, Diego, Juan, Herman und Jorge, zwischen 6 und 15 Jahre alt. Der älteste Sohn hat Arbeit in Guatemala City gefunden und kommt nur noch manchmal zu Besuch. Seine Frau lebt mit einem Kleinkind auch hier oben. 
Vor allem die drei jüngeren Kinder sind so begeistert von meinen Geschenken, dass sie in den nächsten Tagen viele Stunden damit verbringen Fussballbilder auszumalen. Dabei scheinen sie oft so 
vertieft in ihre Arbeit, dass sie nichts 
davon wahrnehmen, was um sie herum passiert. 




















Zum Abendessen sitzen nur Manuel und ich am Tisch. Alle anderen Familienmitglieder sind im anderen Raum, von dem ich annehme, dass es die Küche ist. Die Portion auf dem Teller vor mir ist erschreckend klein. Es gibt Eier mit Bohnen. Glücklicherweise kommen  immer genug Tortillas auf den Tisch, so dass man eigentlich immer halbwegs satt wird.  Auf Nachschlag hoffe ich allerdings vergebens. Auch die Frage: "Was gibt es heute?" erübrigt sich.  Nach dem Essen sitzen wir immer noch eine Weile am Tisch. Wir leben in so unterschiedlichen Welten, dass sich der Gesprächsstoff ziemlich schnell erschöpft, so dass wir oft länger vor uns hin schweigen. Zwischendurch kommen die Kinder und malen im Schein der Kerzen an ihren Bildern weiter.













Die Tage enden früh in Chicanab und so krieche ich schon um 9 in die Federn. 
"Marcos, Quetzal!" "Marcos, Quetzal!" Schon um sechs Uhr morgens steht Manuel vor meiner Hütte und reisst mich aus dem Schlaf. Hätte ich gewusst, wie rar sich dieser Vogel in den nächsten Tagen machen wird, wäre ich schneller aus den Federn gesprungen. Auf dem folgenden einstündigen Spaziergang durch den Wald war natürlich kein Quetzal mehr zu sehen. 
Dann wieder Bohnen und Eier zum Frühstück. Anschliessend wandern wir hoch zu einem Aussichtspunktv von dem man einen gewaltigen Rundblick auf die hügelige Landschaft hat. Am Horizont kann man Coban und San Pedro Carcha erkennen, kaum 40 km Luftlinie entfernt. Mit Manuels Kindern lebt schon die vierte Generation der Familie hier oben im Nebelwald von Chicanab. Vor die Strasse nach San Lucas gebaut wurde, ist man regelmäßig die 40 km nach Coban gelaufen, um auf dem Markt einzukaufen. 
Die Natur ist hier oben das einzige Unterhaltungsprogramm  und so verbringe ich die nächsten Tage mit ausgedehnten Wanderungen durch die märchenhaften  Wälder. 






Männlicher Quetzal












Manuel auf der Suche
nach einem Quetzal
Manuel gibt sich viel Mühe, mir besondere Pflanzen zu erklären, von denen viele als Heilkräuter gegen verschiedenste Leiden verwendet werden.  Die meisten Fremden kommen nach Chicanab um den seltenen Quetzal zu beobachten. Und so geht Manuel. wohl automatisch davon aus, dass mein Interesse  auch vorwiegend diesem Vogel gilt. Stundenlang streifen wir lautlos durch die Wälder auf der Suche nach dem  magischem Wesen mit dem sagenhaft schillernden Gefieder.   Ich bin von mir selbst überrascht, dass ich die Gelassenheit habe, zwei Stunden vor einem Baum zu sitzen, um darauf zu warten, dass sich irgendetwas darin bewegt. 













An meinem zweiten Tag bei Familie Yaxcal haben die Kinder schulfrei. Ihre Begeisterung ist aber sehr verhalten, und es wird mir auch schnell klar warum. Sie arbeiten den ganzen Tag im Maisfeld, schleppen  Holz aus dem Wald oder holen Wasser aus einem nahe liegenden Bach. Kinder müssen hier früh zum Wohl der Familie beitragen. Trotzdem wirken sie fröhlich und zufrieden.  Die Schule befindet sich weit unten im Tal. Ungefähr 1 1/2 Stunden  laufen sie jeden Tag hin und zurück. 














Normalerweise bleiben Fremde zwei Tage hier. Für mich ist dieses Erlebnis so beeindruckend, dass ich beschliesse noch mindestens 2 Tage länger zu bleiben. Auch ein wenig in der Hoffnung, dass das Eis zwischen mir und der Familie etwas bricht. 
Tatsächlich bekomme ich erst am vierten Tag die Gelegenheit mit der Familie in der Küche zu essen. Die Atmosphäre in diesem Raum ist unbeschreiblich. Im Kreise dieser Familie um das offene Feuer zu sitzen, gehört zu  jenen Momenten, der die ganze Faszination des Reisens in sich vereint. 

Maistortillas




Pedro, Diego und Juan














Auch in Lateinamerika ist man ist man ganz selten 4 Tage an solch isolierten Orten. Es gibt hier keinerlei Unterhaltung, dafür Zeit und Musse im Überfluss. Auf den langen Wanderungen habe ich die Gelegenheit einige Quetzale zu beobachten. Leider gelingt mir kein einziges gutes Foto. Quetzale schiessen entweder wie Pfeile durch die Luft oder sie sitzen hoch oben in den Bäumen. Noch dazu sind sie nur früh morgens oder spät abends aktiv. Dieser Vogel ist wirklich von erhabener Schönheit. 
  
Der einzige Bus zurück nach Coban fährt schon um halb sieben Uhr morgens. Diego begleitet mich zur Haltestelle. Wir laufen  schon um 5 im Schein meiner Stirnlampe los. Langsam erwacht der Wald zum Leben und am Horizont taucht die aufgehende Sonne die Landschaft in ein zauberhaftes rot. 



















Das Klo - Gewöhnungsbedürftig!