Mittwoch, 25. Januar 2012

Huasteca...


In San Luis Potosi mache ich mich wieder alleine auf die Reise. Jorge möchte für ein paar Tage nach  Real de Catorce, das ein paar Busstunden nördlich von San Luis Potosi liegt. Ich möchte diesen Ort lieber so in Erinnerung behalten, wie ich ihn vor fast 20 Jahren erlebt habe. Mittlerweile hat man dort einen Hollywoodfilm mit Brad Pitt gedreht, was dem Dorf einen unverhofften touristischen Aufschwung beschert hat. Ich möchte über die Unesco-Weltkulturstaedte  Guanajuato und San Miguel de Allende im Hochland von Mexiko weiter Richtung Süden radeln.


Während der Fahrt aus der Stadt, entschliesse ich mich spontan an einer Kreuzung  eine ganz andere Richtung einzuschlagen.  Ich habe vor einigen Tagen einen Bericht über eine Region gelesen, die etwas abseits ausgetretener  touristischer Pfade liegt, die Huasteca Potosina. Eine faszinierende Naturlandschaft mit Flüssen, Wasserfällen mitten im Regenwald an den östlichen Hängen der Sierra Madre Oriental. 
Ich habe ein wenig das Gefühl, dass ich  in den letzten Wochen zu viel Zeit in Städten verbracht habe und sehne mich wieder nach Nähe zur Natur. 
Ausserdem bieten die Regenwaldgebiete der Huasteca, nach ein paar Wochen im trockenen und kargen Hochland einen willkommenen Kontrast für die Sinne.   

Bevor man  aber in die die gruene Wunderwelt eintauchen kann, muss  erst die Sierra Madre Oriental mit fast 3500 m hohen Bergen überwunden werden.
Durch das zerklüftete  Sierra Gorda Gebirge schraubt sich eine Strasse in endlosen Serpentinen hoch zur Puerta del Cielo (Himmelstor).  Schon kurz nach der Passhöhe ändert sich die Gegend schlagartig. Das trockene karge Land verwandelt sich plötzlich in eine herrliche Waldlandschaft. Fast 3000 Höhenmeter bin ich heute hochgeradelt. Als Belohnung kann  ich  jetzt entspannt 30 km grüne Natur an mir vorbeirauschen lassen und in die 2500 m tiefer liegende Missionsstadt Jalpan rollen.




Missionskirche in Jalpan



                                                             Sierra Gorda









Hier kann ich einem Hotel einen grossen Teil  meines Gepäcks deponieren. Nur mit dem Allernotwendigsten mache ich mich ungewöhnlich leichtfüßig auf den Weg ins  gut 100 km entfernte tropisch feuchte Bergdorf Xilitla.  Ausgesetzt liegt es auf einem Hügel und von der zentralen Plaza fallen enge Strassen und Gassen zu allen Seiten steil ab. 
Im Dorf herrscht hektisches Treiben und zum ersten Mal habe ich so richtig das Gefühl fuer größeres Aufsehen zu sorgen als mir lieb ist.  Neugierige Blicke verfolgen mich auf Schritt und Tritt, als ich mein Rad durch die geschäftigen Strassen zur Plaza schiebe. Erfreulicherweise finde ich schnell ein  Hotel und gönne mir eine kurze Verschnaufpause bevor ich mich auf den Weg mache, die Stadt näher zu erkunden. Heute ist Silvester und ich bin wirklich gespannt, was mich hier heute Abend erwarten wird. 
Der Anteil an indigener Bevölkerung ist in der Huasteca Potosina  sehr hoch, was den Orten und Städte  einen außergewöhnlichen Charme verleiht.  Die Strassen hier sind  ein wenig bunter, chaotischer und voller  Leben.
Die Kathedrale wirkt wie eine Festung und nur durch die Glocken und den Turm  gibt sie sich als Kirche zu erkennen.




































Abends auf der Plaza komme ich mit einem Musiker ins Gespräch, der später noch mit seiner Gruppe, den Broncos del Norte auftreten soll. Er lädt mich auf ein Bier in eine dieser verruchten Cantinas  ein, um die ich sonst einen möglichst grossen Bogen mache. Als ich ihm erzähle, dass ich aus Österreich komme, spannt er  sofort einen erstaunlichen Bogen über die  klassische Musik bis hin zu seiner Geige. Aus irgendeinem Grund bildet er sich ein, ein Österreicher müsse sich  mit klassischen Instrumenten auskennen und ich schaffe es nicht so recht ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Auf jeden Fall möchte er mir seine  Geige zeigen. Er hat sie vor langer Zeit erstanden und der Verkäufer hat ihm erzählt, sie stamme aus Deutschland. Wir ziehen weiter in die nächste Cantina, wo seine Geige auf ihn wartet und sich seine Musikerkollegen auf den Auftritt vorbereiten. 
Ich frage mich, wie man nach so viel Bier noch irgendein Instrument spielen kann, geschweige denn eine Geige. Aber Jose packt seine Violine aus. 
Sie hat offensichtlich ein ereignisreiches Leben hinter sich. Unzählige Dellen und Schrammen zeugen von einer Menge ausgelassener Auftritte. Er zaubert wirklich schöne Töne aus seinem lädierten Instrument. Weder hat ihm je jemand dieses Instrument erklärt, noch hat er je auch nur eine Note in seinem Leben gesehen. Das verlangt mir, dem schon die Gitarre mit allen nur möglichen Hilfsmitteln ein Buch mit sieben Siegeln bleibt, den allerhöchsten Respekt ab.




Cantinas sind eigenartige, aufs Allerwesentlichste reduzierte Orte. Hier gibt es nur Bier und manchmal Musik. Es sind jene Orte in denen die Machokultur Mexikos in ihrer komprimiertesten Form zu erleben ist.  Ich muss zugeben es hat was. 
Um Punkt zwölf kracht es auch hier überall und die Festungsglocken läuten. Ich umarme etwa 20 Männer die ich nie in meinem Leben vorher gesehen habe. Endlich schaffe ich es aus der Cantina zurück ans Licht der Welt. 
Auf der Plaza herrscht ausgelassene Stimmung, es spielt eine Band, eine Hälfte der Menge tanzt, die andere schaut zu. Um zwei treten die Broncos und mein Freund, der Geiger auf.
















Irgendwann habe ich das Gefühl den Jahreswechsel gebührend genug gefeiert zu haben und ziehe mich zurück. 
 In Xilitla gibt es neben jeder Menge authentischen Lebens eine wirklich sonderbare Attraktion. 
1945 verschlug es den adligen und steinreichen Engländer Edward James auf abenteuerlichen Wegen nach Xilitla. James begeisterte sich vor allem für surreale Kunst und trug die damals Größte  private Kunstsammlung zusammen. 
Gemeinsam mit dem mexikanischen Künstler Plutarco Gastelum errichtete er in einem Urwaldgebiet zwischen Wasserfällen, Bächen, Teichen und wilden Orchideen eine surreale Welt  aus Tempeln, Pagoden, Brücken Pavillons, Skulpturen und Betonwendeltreppen. Viele der Skulpturen wurden nie vollendet und nach dem Tod von Edward James 1984 verschwindet diese eigenartige Reich langsam unter dem wuchernden Pflanzenwerk des Urwalds.





Durch beschauliche Huaxtekendoerfer führt meine Strecke weitere tausend Höhenmeter hinunter nach Aquismon. Immer dichter wird der Regenwald. Auf gerodeten Flächen grasen Kühe, und auf den ersten Blick erinnert so manches an die Heimat. 
Vor ein paar Jahren habe ich eine Dokumentation im Fernsehen gesehen. Es ging um Fallschirmspringer, die in ein riesiges schwarzes Loch mitten im Dschungel sprangen. 
Diese Verrückten haben mich damals schwer beeindruckt. 

Heute bin ich unterwegs zu diesem Loch, dem Sotano de las Golondrinas (Schwalbengrube). Scheinbare endlose 15 km führt eine kurvige und gnadenlos steile Strasse durch den Regenwald. Es ist unglaublich schwül und der Schweiss fliesst in Strömen. Neben den unglaublichen Dimensionen (in der Höhle hätte leicht das Empire State Building platz) zieht dieser Ort seine Magie vor allem aus einem  einzigartigen Naturschauspiel. 
Jeden Abend zur Dämmerung stürzen Millionen Schwalben und Papageien mit ungeheurem Getöse in diesen unheimlichen Abgrund. 
Wenige Schritte bevor ich die  Höhle erreiche, werde ich von einem gewaltigen Gewitter überrascht. Im Regenwald beginnt es nicht allmählich zu tröpfeln sondern der Himmel öffnet sich schlagartig und es giesst von einer Sekunde auf die andere wie aus Kübeln. 
Die einheimischen Führer und ein paar Touristen fliehen in nahegelegene Hütten. Nach dieser strapaziösen   Anfahrt bin ich fest entschlossen, mir dieses Erlebnis nicht durch den Regen vermiesen zu lassen.  Aber ein Gewitter im Regenwald ist eine ziemlich respekteinflößende Naturgewalt, auf jeden Fall stärker als die Faszination der Vögel. Und so renne ich schon bald den anderen hinterher.  
Im Dunkeln, fix und fertig und völlig durchnässt erreiche ich Aquismon und schlüpfe in den wärmenden Schlafsack.


Ein paar Szenen aus Aquismon:





















Mehrere Tage radle ich durch ein richtiges kleines  Paradies. Schmale Strassen auf denen kaum Verkehr herrscht führen durch idyllische Indiodoerfer. Die Menschen sind hier spürbar reservierter als in anderen Teilen Mexikos und auch der materielle Lebensstandard ist wesentlich niedriger. 
Die Häuser sind aus Brettern oder Lehmziegel gebaut und die Dächer auf traditionelle Weise mit Palmblättern bedeckt.  
In einem grossen Teil der Huasteca Potosina wird auf riesigen Flächen Zuckerrohr angebaut. Der Duft von frischem Zuckerrohrsaft erfüllt die Luft. 
Zwischendurch mache ich halt an einem Wasserfall und springe in einen dieser natürlichen Pools mit glasklarem, tuerkisblauem Wasser.






















Die größte Stadt der Huasteca Potosina heisst Ciudad Valles. Das Herausragendste an dieser Stadt ist die unglaubliche Anzahl an Cantinas. 
In Mexiko muss man zwischendurch richtig froh sein, einmal an einen Ort zu kommen, an dem es so gut wie nichts zu sehen gibt. Wieder einmal Zeit zu finden e-mails zu schreiben oder den blog auf den aktuellen Stand zu bringen.

In den Strassen von Ciudad Valles:















                              Zwei von mindestens 
                    hundert cantinas in Ciudad Valles









Von hier führt meine Route wieder zurück in Richtung  Jalpan. 
Noch einmal mache ich Halt in Aquismon. Diesmal mache ich mich morgens früh um fünf  auf den Weg zum Sotano. Manchmal lernt man ja dazu und ich erspare  mir daher die strapaziöse Kletterpartie mit dem Fahrrad und miete gemeinsam mit einer argentinischen Familie eine Camionetta mit Fahrer. 
Heute erwische ich einen fantastischen Tag und kann das Naturschauspiel in aller Ruhe geniessen. Etwa eine Stunde lang zischen Vogelschwärme aus dem schwarzen Loch. Dazwischen immer wieder kleine Gruppen leuchtend-gruener Papageien. Seit vor ein paar Jahren ein Amerikaner in den Sotano gestürzt ist, kann man sich von Einheimischen anseilen lassen, um sich bis zum Rand der Höhle vorzutasten. Obwohl mein Höhenangst nicht sehr ausgeprägt  ist, überfällt mich beim Blick in dieses fast 400 m tiefe rabenschwarze Loch ein schauderhaftes Gefühl.





Ein stabiles, verlässliches Rad ist auf einer solchen Reise wirklich Gold wert. Es gibt zwar in Mexiko viele Radläden und man findet so gut wie alle notwendigen Ersatzteile. Allerdings von haarsträubend schlechter Qualität. Vor ein paar Tagen habe ich mir einen Schlauch gekauft. Der hatte leider beim Kauf schon ein Loch und Jorge explodierten  zwei neue Schläuche schon beim Aufpumpen.














                                                    Fahrradläden entlang der Strecke






Das Essen in Mexiko ist wirklich hervorragend und vielfältig. Immer wieder erlebt man Überraschungen und entdeckt besondere regionale Spezialitäten.
Zu jedem Essen werden  Tortillas serviert. Dadurch wird man eigentlich so gut wie immer satt. Je nach Region werden sie aus Maismehl (maiz) oder Weizenmehl (harina) gemacht.
Heutzutage findet man fast ausschliesslich maschinell gefertigte Tortillas. Aber manchmal auf dem Land, in kleinen Dörfer, werden sie noch in Handarbeit hergestellt. Der Unterschied im Geschmack ist verblüffend.

Tortilleria

Von Hand gefertigte Tortillas





Noch ein paar Impressionen entlang des Weges: